Touren durch Slums, Favelas und andere Armenviertel werden bei TouristInnen seit einigen Jahren immer beliebter. Nora Holzmann hat mit Slum-Tour-AnbieterInnen aus Rio de Janeiro, Mumbai und Nairobi gesprochen.
Südwind-Magazin: Warum sollte jemand, der in Ihre Stadt kommt, eine Slum/Favela-Tour machen?
Zezinho da Rocinha: Allen, die besser verstehen möchten, wie das Leben in Rios Favelas wirklich ist, empfehlen wir, auf unsere Tour mitzukommen.
Fredrick Omondi: Ich empfehle allen, die etwas lernen und mehr über die beiden Seiten Nairobis erfahren wollen, eine Tour durch Kibera.
Deepa Krishnan: Jeder, der nach Mumbai kommt, sieht sowohl den Reichtum als auch das Elend dieser Stadt. Aber man sollte auch die dritte Seite sehen, das Mumbai der armen, aber hart arbeitenden Menschen.
Wie läuft die von Ihnen angebotene Tour ab?
da Rocinha: Die meisten Besucherinnen und Besucher kommen für etwa vier Stunden zu uns. Wir beginnen unsere Tour am oberen Ende der Rocinha und wandern den Hügel hinunter. Dabei erzählen wir von der Geschichte der Favela, den sozialen Problemen und den Perspektiven für die Zukunft.
Omondi: Wir gehen gemeinsam zu Fuß durch Kibera, den größten Slum Ostafrikas, und besuchen dabei soziale Projekte. Man kann auch sehen, was die Menschen in Kibera tun, um ihr Leben zu verbessern.
Krishnan: Unsere Tour durch Dharavi, einen der größten Slums Asiens, dauert etwa zwei Stunden. Wir zeigen, wie die Menschen wohnen, arbeiten, wie sie an das Leben herangehen. Wer extreme Armut und Verzweiflung erwartet, der wird enttäuscht sein. Es herrscht eine große Betriebsamkeit, die Menschen arbeiten hart.
Wer sind die Leute, die an Ihren Touren teilnehmen?
da Rocinha: Die meisten unserer Gäste kommen aus England, Australien und Deutschland. Das Durchschnittsalter liegt zwischen 25 und 45 Jahren.
Omondi: An unseren Touren nehmen sowohl Menschen aus Kenia als auch aus dem Ausland teil. Sie kommen aus allen Teilen der Welt.
Krishnan: Es sind vor allem Gäste aus dem Ausland, die unsere Touren machen. Aber auch Geschäftsleute sind darunter, die mehr über das Wirtschaftssystem eines Slums erfahren wollen.
Wer führt die BesucherInnen durch die Favela oder den Slum?
da Rocinha: Ich selbst habe dieses Angebot vor sieben Jahren geschaffen. Ich bin in der Rocinha geboren, lebe nach wie vor hier und liebe diesen Ort. Gemeinsam mit zwei weiteren BewohnerInnen führe ich durch die Favela.
Omondi: Unser Unternehmen ist holländisch-kenianisch. Ich komme selbst aus Kibera und bin einer der Mitbegründer. Ich betreue die Touren, gemeinsam mit einem Kollegen aus dem Slum.
Krishnan: Ich betreibe und besitze das Tour-Unternehmen. Ich stamme selbst aus Mumbai. College-Studentinnen und Studenten, die in Dharavi leben, führen durch das Viertel.
Kann es gefährlich sein, an einer Slum/Favela-Tour teilzunehmen?
da Rocinha: Das Gefährlichste sind wohl die holprigen Gehsteige. Man braucht also gute Schuhe. Ansonsten habe ich noch nie Probleme gehabt. Ich würde diese Touren nicht anbieten, würde ein Risiko bestehen.
Omondi: Bei uns ist jeder sicher.
Krishnan: Wovor man sich in Acht nehmen sollte, sind die Moskitos!
Wie reagieren die BewohnerInnen der Viertel auf die Gäste von außen?
da Rocinha: Die meisten freuen sich über die Besucherinnen und Besucher. Ich ermutige auch alle Gäste, mit den Einheimischen ins Gespräch zu kommen. Natürlich erkläre ich auch immer wieder Leuten hier, dass es darum geht, die Sichtweise von außen auf Favelas zu ändern.
Omondi: Die Bewohnerinnen und Bewohner von Kibera reagieren sehr freundlich auf die Besuche von außen. Die meisten finden, dass die Touren der Gemeinschaft einen großen Nutzen bringen.
Krishnan: Das ist eine blöde Frage. Die Leute in Dharavi sind schließlich wie alle anderen Leute auch – manche sind freundlich, andere nicht, mache mögen Besuche, andere eben nicht.
Slum/Favela-Touren werden immer wieder dafür kritisiert, dass sie Menschen und ihr Elend für Geld zur Schau stellen würden. Verstehen Sie diese Kritik?
da Rocinha: Ich verstehe die Kritik, aber ich mache die Arbeit, weil mit die Gemeinschaft hier am Herzen liegt. Wir wollen, dass möglichst viele Leute in der Favela etwas davon haben, Souvenirs oder Getränke verkaufen können und Ähnliches.
Omondi: Kritik gibt es überall und niemand kann sie gänzlich vermeiden. Ich kann nur sagen, dass unsere Touren zur Stärkung der Menschenwürde der Slum-Bewohnerinnen und -Bewohner beitragen.
Krishnan: Ich habe mich viel mit der Kritik auseinander gesetzt. Aber Dharavi zu besuchen, ist nicht im entferntesten voyeuristisch. Die Bewohnerinnen und Bewohner von Dharavi behaupten sich und verlangen Respekt – und den bekommen sie auch.
Welchen Ratschlag geben Sie den Leuten, bevor diese zu einer Ihrer Touren aufbrechen?
da Rocinha: Nehmt gute Schuhe und einen Fotoapparat mit, und lasst eure Vorurteile zu Hause!
Omondi: Denkt daran: Arme und Reiche haben die gleichen Hoffnungen – auf ein besseres Leben, eine bessere Zukunft.
Krishnan: Kommt mit einem offenen Geist, ohne Vorurteile und seid bereit, aus dem, was ihr seht, zu lernen!
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